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Der Wille zur Freiheit: Besuch von iranischem Exil-Dichter

01.07.2024 | Aktuelles

Können Gedichte eine Revolution auslösen? Wo beginnt und wo endet Freiheit? Darf Religion die Politik eines Landes bestimmen? Diese und weitere Fragen wurden dem persischen Lyriker Mohammadreza Rostambegloo gestellt, der am 20. Juli die 12. Klasse unserer Stadtteilschule für eine 90-minütige Lesung mit Gespräch besuchte. Der Dichter verließ im Jahr 2016 den Iran, nach sieben Jahren im Exil in der Türkei kam er im letzten Jahr über ein Stipendium aus dem „Writers-in-Exile“ Programm des PEN Deutschland nach Berlin, wo er seither lebt. Im Iran war er auch als Hochschullehrer für Philosophie tätig und veröffentlichte vier Gedichtbände im Untergrund, um so die offizielle Zensur des iranischen Regimes zu umgehen. In seinen Gedichten setzt er sich u.a. kritisch mit den Themen Religion, dem Anspruch religiöser Vertreter auf politische und gesellschaftliche Führerschaft oder dem Recht auf freie Meinungsäußerung auseinander. M. Rostambegloo wurde im Iran mehrfach inhaftiert und gefoltert, sodass er sich schließlich entschied, das Land zu verlassen. Nach seiner Flucht wurde sein gesamter Besitz enteignet und eine Todesstrafe durch Erhängen gegen ihn ausgesprochen.

Von Anfang an waren die Schülerinnen und Schüler der S12 gefesselt von der Schönheit, der Musik und dem Variantenreichtum der persischen Sprache, in der der Lyriker seine Texte, über weite Strecken auswendig, eindrucksvoll vortrug. Nach jedem Gedicht wurde die deutsche Übersetzung der teilweise der klassischen persischen Dichtung verpflichtenden Texte gelesen. Begleitet wurde die Lesung von einem Autorengespräch in englischer Sprache, in welchem der Exil-Dichter von seinem Leben im Iran berichtete, von der Bedeutung von Literatur für Demokratie und Freiheit, oder dem nicht zu überschätzenden Wert der Säkularität. Es entwickelte sich ein spannungsreicher Dialog zwischen Sprachen und Kulturen, in dem u.a. deutlich wurde, dass es nicht unbedingt die großen Provokationen gegen diktatorische Führer sind, die einen Dichter ins Gefängnis bringen können, sondern einzig der Umstand, dass Texte abseits der Zensur veröffentlicht werden, unabhängig von ihrem tatsächlichen Inhalt. Dieser unbeugsame Wille zur freien Meinungsäußerung — und damit zu einem fundamentalen Element von Freiheit selbst — wurde während des Besuches des Lyrikers auf inspirierende Art und Weise hör- und greifbar.

Eines der eindrucksvollsten Gedichte der Lesung hatte der Autor zunächst nur in Gedanken schreiben können während seiner Inhaftierung im berüchtigtsten Gefängnis des Irans, Ewin: „(…) Vier Mauern hat’s und hundert Türen, doch sind sie verschlossen/ Die Mauern sind was jede Tür vereint mit allen Türen/ Ewin das alle Wünsche tötet wird durch Wünsche sterben/ Auch in den Mauern lässt sich irgendwo ein Riss aufspüren“ (aus: Ein Gedicht für Ewin)

Die S12 zeigte sich sehr beeindruckt und beteiligte sich mit eigenen Fragen intensiv am Gespräch. Die Fremdheit und gleichzeitig Schönheit einer anderen Sprache zusammen mit den eindrücklichen Erfahrungen des Autors ließen für die Schülerinnen und Schüler ein besonders erinnernswertes Ereignis entstehen.

 

 

                                                                                                                                                             Marc James Müller

Bildquelle: https://www.pen-deutschland.de/stipendien/mohammad-reza-haj-rostambeglou/

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