Von Charlotte aus der G7
„Und Linn, wie war die Schule heute?“, fragte mich Mama und ich verdrehte innerlich genervt die Augen. Jeden Tag die gleiche Frage und jeden Tag die gleiche langweilige Antwort von mir: Gut. Aber was sollte ich auch mehr erzählen?
Ich bin ein zwölfjähriges, gewöhnliches Mädchen, mit blonden Haaren und blau-grauen Augen. Ich habe gewöhnliche Noten und beteilige mich nicht sonderlich viel im Unterricht. Da passiert in der Schule nicht so viel, außer dass Jonas Marie in der Pause Apfelsaft über den Kopf geschüttet hat und die darauf heulend auf dem Mädchenklo verschwunden ist. Danach wollte sie den ganzen Tag nicht mehr rauskommen. Mir passiert so etwas nicht, ich weiß noch nicht einmal, ob manche aus meiner Klassenstufe überhaupt wissen, dass es mich gibt. Ich bin wohl nicht so der gesellige Typ.
Mein Bruder Mats ist da ganz anders als ich. Er ist ein aufgeweckter und sehr gesprächiger Junge. Er ist ein Jahr jünger als ich und trotzdem einige Zentimeter größer. Meist übernimmt er deswegen auch die Abendtischgespräche mit meinen Eltern, wie auch heute. Während meine Eltern und Mats sich also über den geplanten neuen Wolkenkratzer in unserer Stadt unterhalten, saß ich daneben, hörte eigentlich gar nicht richtig zu und guckte aus dem Fenster. Ich hatte eine Meinung zu dem Wolkenkratzer. Ich fand ihn einfach nur unnötig. Wozu brauchte unsere Stadt den? Besonders hübsch war er schließlich auch nicht. Aber ich erzählte diese Gedanken meiner Familie nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie sich nicht dafür interessierten, dass meine Meinung nicht wichtig war.
Plötzlich fiel mir im Fenster ein komisches, kleines Leuchten auf. Es war nur ganz klein, eigentlich fast nur ein Schimmer, dennoch stach es mir sofort ins Auge. Ich war mir ziemlich sicher, dass es vorher noch nicht da war. „Das war doch lecker.“, riss mich die Stimme meiner Mutter aus meinen Gedanken. Dies war das Zeichen für uns andere, aufzustehen und den Tisch abzudecken. Einer räumte ab, einer spülte, einer trocknete ab und der andere wischte den Tisch: So war unser Ritual. Ich stellte mich heute sofort freiwillig an die Spüle und wusch die Teller ab, was wohl die lästigste Aufgabe war, doch so war ich dem seltsamen Leuchten am nächsten. Verwundert darüber, dass ich heute mal spülte, stellte sich mein Bruder Mats neben mich und trocknete ab. Doch ich registrierte ihn nicht richtig. Das Leuchten war heller geworden, je näher ich an das Fenster herangetreten war. Merkwürdig, was konnte das nur sein – und sah Mats das auch?
Später am Abend, als ich schon im Bett lag, ließ mich der Gedanke an das Leuchten nicht mehr los und ich beschloss nachzusehen, ob ich mir das Leuchten nur eingebildet hatte. Ich schlich auf den Flur. Im Bad war noch Licht an, wahrscheinlich waren meine Eltern noch darin. Aus Mats Zimmer hörte ich nichts mehr, vermutlich schlief er schon. Ich schlich so leise wie möglich an seinem Zimmer vorbei und betrat die Küche. Tatsächlich! Das Schimmern war immer noch da. Diesmal konnte ich auch ganz sicher sein, dass es sich nicht nur im Fenster spiegelte. Die Lampen waren alle aus und draußen auf der Straße ist die Laterne vor unserem Haus schon eine Ewigkeit kaputt. Ich trat näher ans Fenster heran, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, etwas zog mich zu diesem Leuchten. Vielleicht meine Neugier? Nein, es war irgendetwas anderes.
Inzwischen war ich nur noch zwei Schritte von dem seltsamen Leuchten entfernt. Langsam streckte ich meine Hand aus und legte meinen Finger, wie magisch angezogen, auf das Licht, das inzwischen so hell war wie eine Glühbirne. Plötzlich durchzuckte ein Blitz die Küche. Von irgendwoher hörte ich meinen Namen, dann wurden alle Geräusche von einem ohrenbetäubenden Knall übertönt. Ich fühlte mich erst für den Bruchteil einer Sekunde schwerelos und dann so, als würde die ganze Welt auf meinen Schultern lasten. Ich wollte schreien oder um mich treten, am besten beides, doch es ging nicht, denn ich konnte mich nicht bewegen, geschweige denn meinen Mund aufmachen und schreien. In mir drehte sich alles und mir wurde speiübel. Gerade als ich dachte, dass ich es keine Sekunde länger aushalten könne, war alles schlagartig vorbei und ich fühlte mich wieder ganz normal. Die Übelkeit war so schnell verflogen wie sie gekommen war und ich konnte mich wieder bewegen. Doch als ich die Augen öffnete, die ich wegen des hellen Lichtes fest zu gekniffen hatte, bekam ich einen Schreck. Ich war gar nicht mehr in unserer Küche. Es war helllichter Tag und um mich herum erstreckte sich eine grüne Wiese mit vielen bunten und exotischen Blumen. Am Horizont konnte ich Berge erahnen, die so groß waren, dass ihre Spitzen in den Wolken verschwanden. Etwas weiter vorne war ein großer Felsen, der etwas fehl am Platz wirkte. Er sah ein bisschen aus wie der Kletterfelsen auf unserem Schulhof. Wo war ich hier gelandet? War das hier ein Traum? Ich kniff mir einmal fest in den Arm, um wirklich sicher zu sein, dass ich nicht träumte. Doch ich fühlte den Schmerz und er war real, zumindest soweit ich das feststellen konnte. Okay, wenn das hier wirklich echt ist, wie bin ich dann hergekommen? Gerade war ich doch noch in unserer Küche gewesen!
Neben mir stöhnte jemand und mir wurde bewusst, dass ich hier nicht allein war. Erschrocken sprang ich zurück und stieß dabei gegen einen kleinen Stock, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Ich stolperte, konnte mich jedoch wieder auffangen. Sauer guckte ich, was mir da im Weg gelegen hatte. Doch ich war nicht über einen Stock gestolpert, sondern über einen merkwürdigen Stab, dessen Ende leuchtete. Geistesgegenwärtig nahm ich den Stab in die Hand und hielt ihn in die Richtung, aus der das Stöhnen kam. Ich wusste nicht, was ich damit wollte. Mich verteidigen? Aber in dem Moment war mir das ziemlich egal.
„Mats?“, fragte ich verwundert. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder wütend darüber sein sollte, dass auch er hier an diesem komischen Ort war, denn ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Ich entschied mich für Ersteres und umarmte Mats stürmisch, denn ich war sehr froh, nicht völlig allein hier zu sein. „Was ist passiert, Linn?“, nuschelte er an meine Schulter und löste sich von mir. „Ich habe aus der Küche ein Leuchten gesehen und dachte, jemand hätte das Licht angelassen. Ich wollte es ausmachen, aber dann warst du da und hast so komisch aus dem Fenster geguckt. Ich habe deinen Namen gesagt, doch in dem Moment wurde alles auf einmal hell und wir waren hier.“ Er sprach schnell und ich hatte Mühe zu verstehen, wo ein Wort anfing und das andere aufhörte. Doch eine Sache ließ mich stutzen. „Du hast kein Leuchten gesehen?“, fragte ich verwundert. Mats schüttelte den Kopf. „Noch nicht einmal einen kleinen Schimmer?“, hakte ich nach. Wieder ein Kopfschütteln. „Warum?“, wollte er wissen.
Ich wollte gerade antworten als plötzlich hinter uns ein lautes Knurren ertönte, das den Boden zittern ließ. Ich bekam eine Gänsehaut und meiner Verwunderung wich Furcht. Was oder wer hatte dieses Knurren von sich gegeben? Meine Frage erübrigte sich sofort, als ein riesiger Dino auf uns zu rannte. Er war lang und für sein Körpergewicht unheimlich schnell. Mehr konnte ich nicht erkennen, denn der Dino raste auf uns zu wie eine Rakete. „Lauf, Mats, lauf!“, schrie ich, drehte mich um und rannte los. Ich meine, mal irgendwo gehört zu haben, dass Dinos einen tot trampeln können, und dieser hier sah aus, als hätte er auf genau das gerade ziemlich viel Lust. Das Herz schlug mir bis zum Hals und als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich, dass der Dino uns dicht auf den Fersen blieb. Ich versuchte noch schneller zu laufen, doch es ging nicht. Ich merkte, wie ich stattdessen langsamer wurde. Ich war noch nie die Beste im Sprinten gewesen. Ich war im Werfen schon immer besser gewesen. Auch Mats neben mir fing an, langsamer zu werden, obwohl er eigentlich immer der beste Sportler in seiner Klasse ist. Aus dem Augenwinkel sah ich den Felsen, der mir vorhin schon aufgefallen war, und mit der Hoffnung auf eine Höhle, wo wir uns verstecken konnten, änderte ich die Richtung. Mats schien kurz irritiert, folgte mir aber. Wahrscheinlich würde ich Mats auch überallhin folgen. Hauptsache, dieses riesige Geschöpf war nicht mehr hinter uns. Ich erreichte den Felsen und entdeckte tatsächlich eine kleine Felsspalte. Es war zwar keine Höhle, aber trotzdem groß genug für Mats und mich. Hoffte ich zumindest. Ich blieb stehen und schob erst Mats, dann mich in die Felsspalte rein. Sie war eng, doch zum Glück gerade groß genug für uns beide. Außer Atem rang ich nach Luft und lehnte mich gegen die Wand. So schnell war ich in meinem Leben noch nie gerannt. Ich hörte, wie der Dino draußen stehen blieb und nach kurzer Zeit in langsamen Schritten wieder abhaute.
Erst jetzt merkte ich, wie absurd das Ganze war. Ich meine: Dinosaurier gab es doch schon seit mehreren Millionen Jahren nicht mehr, oder? Auch Mats neben mir schien verdutzt. Da merkte ich, dass ich den leuchtenden Stab immer noch in der Hand hielt. Ich benutze ihn, um in die düstere Felsspalte zu leuchten. Sie teilte sich auf in drei ziemlich niedrige Gänge, in die gerade mal ein Hamster reingepasst hätte. Ich hielt den Stab in einen der Gänge und leuchtete hinein. Täuschte ich mich oder guckten mir da zwei kleine Augen entgegen? Erschrocken sprang ich zurück. „Keine Panik“, quietschte mir eine feine Stimme entgegen und aus dem Gang kam eine kleine Gestalt, die ein bisschen aussah wie ein Hamster, der in einen pinken Farbeimer gefallen ist. Nur das diese Gestalt auf den Hinterbeinen stand und mich aus zwei großen Glubschaugen anstarrte und anscheinend auch noch sprechen konnte. Ihre Augen wurden noch größer, wenn das überhaupt noch ging, als sie den seltsamen leuchtenden Stab in meiner Hand entdeckte. „Heiliger Bimbam!“, war alles, was sie sagte. Mats und ich guckten uns verunsichert an. Die Gestalt schüttelte immer wieder den Kopf und murmelte: „Das kann nicht sein! Das kann nicht sein!“. Dann kniff sie sich in die kleinen Bäckchen und kniff einmal kurz die Augen zusammen, als könnte sie nicht glauben, was sie dort sah.
„Was kann nicht sein?“, fragte ich. Bei meinen Worten hüpfte die Gestalt erschrocken hoch. Langsam schien sie sich wieder zu sammeln, denn sie streckte stolz die Brust raus und verbeugte sich vor mir. „Kaius mein Name. Kilfi des Nordstammes“, stellte er sich vor. „Es ist mir eine Ehre, dir bei deiner Aufgabe zu helfen.“ Ich lächelte ihn an und stellte uns vor. „Von welcher Aufgabe sprichst du? Ich weiß ja noch nicht einmal, wo ich bin“, sagte ich und war selbst erstaunt darüber, dass ich nicht so schüchtern war wie sonst. Mats hingegen guckte Kaius an, als wüsste er nicht recht, was er von allem halten sollte, und sagte kein Wort. Anders als sonst übernahm ich also jetzt das Reden. Kaius guckte mich erstaunt an. „Kennst du die Legende nicht?“ Ich schüttelte den Kopf. Von welcher Legende sprach er? „Nun gut, dann lass mich dir auf die Sprünge helfen: Vor langer Zeit gab es hier in Imalia einen Herrscher namens Oryn, der allen half und jeden respektierte, so wie er war. Doch eines Tages verlor er seinen magischen Leuchtstab, mit dessen Hilfe er die finsteren Mächte von Imalia fernhielt. Der böse Dämon Delroy kam und sperrte Oryn ein, der, ohne seinen Stab, nichts gegen Delroy machen konnte. Delroy wurde der neue Herrscher, doch er brachte nur Finsternis und Angst über Imalia. Niemand kann Delroy besiegen, außer einer. Die Legende besagt, dass nur derjenige, in dessen Hand der magische Leuchtstab leuchtet, Delroy besiegen kann. Doch niemand wusste, wo der Stab war. Doch anscheinend bist du die Auserwählte“, schloss Kaius.
Ich war verwirrt. So etwas gab es doch nur in Märchen, oder nicht? Leuchtete der Stab etwa wirklich nur bei mir? Ich reichte den Stab Mats, der ihn zögerlich entgegennahm. Wahrscheinlich wollte er, wie ich, auch wissen, ob es stimmte. Doch sobald ich den Stab losgelassen hatte, erlosch das Leuchten und es wurde dunkel in der Höhle. Ich nahm den Stab schnell wieder in die Hand und es wurde wieder hell. Kaius hatte uns beobachtet und fragte: „Und, glaubt ihr mir jetzt?“ Ich nickte, denn irgendwie hatte ich tief in mir drinnen ein Gefühl, das mir sagte, dass die Legende stimmte.
„Wie kann man Delroy denn besiegen?“, fragte ich. „Die Legende sagt, dass die auserwählte Person den magischen Leuchtstab in die Goldhöhle bringen soll. Dort muss der Stab Oryn gegeben werde, der dort in einem Verließ gefangen gehalten wird. Sobald er den Stab hat, kann er Delroy besiegen und Imalia wird endlich wieder ein glückliches Land.“, berichtete Kaius. „Aber Delroy wird doch Oryn nicht einfach gefangen halten, ohne ihn zu überwachen“, warf ich ein. „Nun ja, das stimmt. Delroy bewacht Oryn natürlich. Das wird wohl auch das Schwierige an der Geschichte“, stimmte Kaius zu. Ich sollte gegen einen Dämon kämpfen? Niemals! Andererseits wollte ich gerne helfen und vielleicht kämen Mats und ich ja nie mehr von diesem Ort weg, wenn wir es nicht versuchten. Ich beschloss, dass ich es versuchen würde. „Supidupi!“, freute sich Kaius, als ich ihm meinen Entschluss mitteilte. Nur Mats sah ein bisschen ängstlich aus. „Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst“, sagte ich zu ihm. Doch das schien ihm noch weniger zu gefallen, also kam er mit.
Kurze Zeit später machten wir uns auf den Weg. Kaius saß auf meiner Schulter und navigierte mich. Die Goldhöhle lag in den Bergen, deshalb steuerten wir erst einmal auf diese zu. Nach einiger Zeit erreichten wir einen Fluss, der sich durch eine Wiese schlängelte. Viele bunte Fische schwammen darin und hüpften ab und zu aus dem Wasser. Um den Fluss standen merkwürdige Kreaturen, die aussahen wie riesige bunte Kaubonbons mit kleinen Beinen. Jedes Mal, wenn ein Fisch aus dem Wasser sprang, johlten sie. „Was sind das denn für Wesen?“, wollte ich von Kaius wissen. „Das sind Kroms. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist, auf einen Fisch zu wetten, der ihrer Meinung nach am höchsten springt. Für mich persönlich ein bisschen langweilig, aber wenn es ihnen gefällt.“, erklärte er. Ich sah den Kroms noch kurz zu, dann folgten wir dem Fluss stromaufwärts. Je näher wir den Bergen kamen, desto dunkler wurde es. Die Wiese war vertrocknet und es waren keine magischen Wesen mehr zu sehen. Die Berge lagen noch weit entfernt und langsam taten meine Füße weh. Nur Kaius war bester Laune und brabbelte mich voll. Ich erfuhr alles über die Kilfi Stämme hier in Imalia und deren verschiedenen, magischen Gaben. Kaius erzählte, er sei ein Meister des Versteckens. Ähnlich wie ein Chamäleon konnte er alle Farben und Formen annehmen und verschmolz so mit dem Hintergrund.
Ich erzählte ihm von unserer Welt: von Autos, Laptops und Handys und von meinem Leben. Ab und zu warf Mats einige ergänzende Dinge ein, war aber ansonsten recht still. Er lief einige Meter hinter mir und Kaius. „Na, Mats scheint ja der weniger Gesprächige von euch beiden zu sein“, meinte Kaius leise zu mir. „Das stimmt eigentlich nicht“, widersprach ich, „ zu Hause ist Mats derjenige, der gesprächig ist. Ich halte mich eher zurück“. „Echt? Aber warum denn? Du hast doch auch eine Meinung und die ist wichtig. Also, ich sage anderen sofort, was ich denke oder wenn mir etwas nicht passt“, sagte Kaius. “Schon, aber ich habe immer das Gefühl es interessiert die anderen nicht, was ich sage. Immer wenn ich etwas sage, schauen mich alle so an, als würde ich alles falsch machen. Dann habe ich das Gefühl, alles falsch zu sagen und fühle mich total unwohl. Irgendwann habe ich deshalb einfach aufgehört, meine Meinung zu sagen, und es scheint ja auch keinen zu stören.“ Das alles sprudelte nur so aus mir heraus, denn es tat so gut, jemandem dies erzählen zu können. Kaius hörte mir aufmerksam zu und sagte dann: „Klar zählt deine Meinung. Du musst dich einfach wieder ein bisschen trauen, das zu sagen, was du meinst. Ich wette, jeden interessiert, was du denkst.“ Hatte Kaius recht? Vielleicht! Ich würde es aber nie herausfinden, wenn ich nicht mehr aus Imalia rauskommen würde. Eine neue Art von Mut überkam mich.
Plötzlich bebte der Boden unter meinen Füßen und Kaius quickte vor Schreck. Ängstlich sah er sich um. Auch ich drehte mich um, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Ich sah nur Mats, der schnell zu Kaius und mir aufschloss. Da sah ich am Himmel einen schwarzen Umriss, der auf uns herabstürzte. Ich war zu überrascht, um wegzulaufen und versuchte erst einmal herauszufinden, was da auf uns zustürzte. „Linn! Lauf!“, kreischte Kaius auf meiner Schulter. Doch ich hatte einen anderen Plan. Selbst erstaunt, warum ich auf einmal so viel Mut hatte, holte ich den magischen Leuchtstab aus meiner Hosentasche und hielt ihm dem schwarzen Etwas entgegen. Kaius auf meiner Schulter versuchte verzweifelt mich zum Weglaufen zu animieren, doch ich blieb, wo ich war, und hielt tapfer weiter den Leuchtstab nach oben. Wenn Kaius die Legende von Imalia kannte, dann musste doch dieses Etwas auch die Legende kennen. Das Etwas kam immer näher und jetzt konnte ich auch erkennen, was da auf uns zu raste. Es war der Dinosaurier, vor dem wir schon weggelaufen waren. Dass er Flügel hatte, war mir vorher noch gar nicht aufgefallen. Er war nur noch 40 Meter von uns entfernt und schnell nur noch 30 Meter, 20 Meter, 10 Meter. Ich blieb weiter stehen. Abrupt stoppte der Dino nur wenige Zentimeter vor mir. Kaius auf meiner Schulter hatte sich zu einer pinken Kugel eingerollt. War es ein Dino oder war es ein Drache, denn schließlich hatte er ja Flügel? Obwohl, haben manche Dinos nicht auch Flügel? Ich wusste es nicht. Mir war eigentlich auch ziemlich egal, was da nur wenige Zentimeter vor mir in der Luft flatterte, solange es uns nicht fraß. Bei jedem Flügelschwung riss mich der Druck fast von den Füßen. Nach drei weiteren Riesenschwüngen landete der Dinodrache vor mir und verbeugte sich. Da erst fiel mir wieder auf, dass ich ja noch immer den magischen Leuchtstab in der Hand hielt. Hatte mein Plan funktioniert und auch der Dinodrache kannte die Legende? Es sah ganz danach aus. Aber warum guckte er mich aus seinen riesigen Augen so auffordernd an?
„Ich glaube, er will, dass wir aufsteigen“, sagte ich zu Mats und Kaius. Ich wusste nicht genau, wie ich darauf kam, aber ich war mir sicher. Mats stand hinter mir mit Kaius auf der Schulter. Kaius hatte wohl gedacht, Mats läuft eher weg als ich, stellte ich schmunzelnd fest. Jetzt hüpfte Kaius wieder zu mir und beäugte den Dinodrachen. „So ein Kerlchen habe ich noch nie gesehen. Aber mir scheint, er hat keine bösen Absichten. Sonst hätte er uns doch schon lange aufgefressen, oder nicht?“, stellte er fest. Das sah ich genauso und da mich der Dinodrache immer noch so auffordernd ansah, kletterte ich auf seinen Rücken. Der Dinodrache schnaubte und Kaius kreischte: „Ahhh, wir werden alle sterben!“ „Beruhige dich Kaius“, sagte ich zu ihm und half Mats dabei, auf den Rücken des Dinodrachen zu klettern. Der Dinodrache erhob sich in die Lüfte. Es war ein herrliches Gefühl über alles hinweg zu sausen, doch ein Bedenken hatte ich. „Weiß er überhaupt, wo wir hinwollen?“, fragte ich. „Keine Ahnung“, antwortete Kaius, „Aber er wird schon wissen, was er macht. Wir können es jetzt sowieso nicht mehr ändern“. Jetzt reckte er freudig seine Nase in den Wind und jauchzte als ihm seine langen, zotteligen und pinken Haare um die Ohren flatterten. Kaius positive Einstellung hätte ich gerne.
Wir kamen schnell voran und der Dinodrache flog tatsächlich in Richtung der Berge. Die vertrocknete Landschaft flog unter uns hinweg und wurde immer schwärzer, je näher wir den Bergen kamen. „Das ist das Werk von Delroy“, meinte Kaius und ich glaubte ihm. Schnell kamen die Berge jetzt näher und bald sahen wir sie in voller Pracht vor uns. Um einen der Berge schwebte eine riesige schwarze Wolke. Sie sah aus wie ein schwarzer Ring, der den Berg gefangen hielt. Der Dinodrache flog auf den Berg zu. Kurz unter der schwarzen Wolke setzte er zur Landung an. Ich hatte eigentlich keine Lust schon wieder abzusteigen, doch es half wohl nichts. Als wir landeten, stieg ich ab und half danach Mats vom Rücken des Dinodrachen zu rutschen. Dann bedankte ich mich bei dem Dinodrachen, der daraufhin wieder abhob und davonflog. Ich sah ihm kurz sehnsüchtig hinterher.
„Wo müssen wir jetzt hin, Kaius?“ fragte ich weiter. „Da unser Flugtaxi so nett war uns hier schon abzusetzen, müssen wir jetzt nur noch diese Wand hoch und dann sind wir da.“ Er zeigte auf die steinerne Felswand hinter sich. „Nichts leichter als das“, meinte ich ironisch. Die Felswand war gute dreißig Meter hoch und hatte keine Rillen oder große, herausragende Steine, an denen man sich festhalten könnte. Nur hier und da ragte mal ein Felsvorsprung aus der Wand heraus. „Schön, aber wenn wir da nicht hochkommen, dann versauern wir hier unten und der ganze Kram war umsonst“, meinte Kaius. Ich schaute noch einmal die Felswand an. Kaius hatte Recht. Doch wie sollten wir da hochkommen? Probeweise versuchte ich ein kleines Stück der Felswand hochzuklettern. Erstaunlicherweise klappte es besser als gedacht. Ich kletterte weiter, setzte meinen Fuß mal in eine Rille und hielt mich mit meinen Händen an den wenigen herausragenden Steinen fest. Ich kam gut voran, bis ich keinen Stein mehr hatte, an dem ich mich festhalten konnte. Langsam taten meine Arme weh und ich wusste, dass ich mich nicht mehr lange festhalten konnte. Mir fehlten noch gut 10 Meter bis nach oben. Unter mir hörte ich Kaius jammern: “Herrje, Herrje!“ Ich wusste nicht mehr weiter. Der nächste Stein war zu weit weg, ich müsste springen, um dorthin zu gelangen. In mir drinnen breitete sich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl aus, das ich nicht kannte. Es sagte mir, dass ich es schaffen konnte. Ich ging ein bisschen in die Hocke und streckte mich dann ruckartig, dabei sprang ich ab und segelte durch die Luft. Erst sah es so aus, als würde ich es nicht schaffen, an den Felsvorsprung ranzukommen, doch irgendetwas gab mir einen Schub und meine Hände krallten sich um den nächsten herausragenden Fels. Mein Sprung musste nur wenige Augenblicke gedauert haben, doch mir kam es vor, als wäre alles in Zeitlupe abgespielt worden. Erleichtert kletterte ich weiter und war kurz darauf oben angekommen.
Doch wie sollte ich Mats und Kaius hier oben heraufbringen? Ich wünschte mir ein Seil herbei, mit dem ich die beiden sichern konnte, doch natürlich kam nichts. Ich suchte nach irgendetwas, womit ich den beiden helfen konnte. Als ich hinter einen großen Stein guckte, sah ich plötzlich ein langes Seil dort liegen. Warum hatte ich es vorher noch nicht bemerkt? Eigentlich war mir das gerade ziemlich egal, denn ich war froh, es überhaupt zu haben. Ich band es um einen Stein, damit ich nicht das ganze Gewicht in den Händen hatte, und warf es runter zu Mats. Das Seil war gerade lang genug. Mit meiner Hilfe konnte auch Mats hinauf klettern. Danach war Kaius dran. Der war so leicht, dass ich ihn mühelos raufziehen konnte. Vergnügt hielt er sich am Seil fest und hüpfte, als er oben war, wieder auf meine Schulter. Mit einem Mal wurde mir ganz mulmig zu Mute. Wir waren bei den Goldhöhle angekommen. Sicherlich würde auch Delroy da sein? Wie sollte ich es mit einem Dämonen aufnehmen? Der Mut sank mir innerlich. Kaius schien es zu bemerken, denn er versuchte mich aufzubauen: „Komm Linn, wir gehen jetzt da rein, machen Delroy platt und geben Oryn den magischen Leuchtstab. Dann wird alles wieder gut!“ Ich guckte auf den Leuchtstab und wurde mit einem Mal wieder zuversichtlicher. Ich hatte es bis hierher geschafft, dann schaffte ich den Rest auch noch.
Kaius, Mats und ich gingen um einen großen Stein herum. Von hier aus führte ein schmaler Pfad steil nach oben zu einem Höhleneingang. Im Gänsemarsch liefen wir ihn herauf. Vor der Höhle stoppte ich. „Sollen wir wirklich einfach in die Höhle reingehen? Was, wenn Delroy da drinnen ist?“, fragte ich. „Ach, lass mich mal machen“, meinte Kaius und hüpfte von meiner Schulter. „Kaius? Was machst du?“, fragte nun auch Mats, doch Kaius war schon in der Höhle verschwunden. Ich gab Mats ein Zeichen und wir schlichen ebenfalls in die Höhle. Die Goldhöhle war riesig. Durch den Fels, aus dem die Höhle bestand, zogen sich feine Goldadern, die die Höhle zum Funkeln brachten. Mats und ich versteckten uns hinter einem riesigen Berg von Goldklumpen und sahen Kaius zu, der durch die Höhle ging und mal hier, mal da einen Goldklumpen von einem der vielen Haufen nahm und sich in seine Hamsterbäckchen stopfte. Es dauerte nicht lange, bis ein ohrenbetäubendes Donnern durch die Höhle grollte. Kaius zuckte zusammen, doch stellte sich kurz darauf, die Brust stolz herausgestreckt, tapfer wieder hin. Eine schwarze Wolke sauste aus einem der Gänge direkt auf Kaius zu. „Wer ist da?“, grollte die schwarze Wolke. Das musste Delroy sein. „Äh, ich.“, piepste Kaius. „Verschwinde, Kilfi!“ donnerte Delroy. Doch Kaius machte keine Anstalten zu verschwinden. Stattdessen fing er an loszuplappern. Dabei zeigte er mit der Hand immer wieder unauffällig auf den Gang, aus dem Delroy gekommen war. Ich zog Mats mit mir in den Gang und lächelte Kaius noch einmal dankend dafür zu, dass er Delroy ablenkte.
Der Gang war dunkel und ich wäre fast gestolpert, als mir einfiel, dass ich ja den magischen Leuchtstab hatte. Ich zog ihn aus meiner Tasche und er leuchtete uns den Weg durch die Dunkelheit. Nach einiger Zeit machte der Gang einen Knick und endete in einer weiteren Höhle. Auch hier waren die Wände mit Goldadern durchzogen, aber in der Mitte der Höhle stand ein goldener Käfig. Darin saß ein Mann mit grünen Haaren und einem grünen Bart. Das musste Oryn sein, dachte ich. Er starrte uns überrascht und hoffnungsvoll aus seinen smaragdgrünen Augen an. Doch in dem Moment, in dem ich loslaufen wollte, um ihm den magischen Leuchtstab zu geben, grölte es und Delroy kam wie eine finstere Gewitterwolke in die Höhle gesaust. Kaius wurde hinter ihm durch die Luft gewirbelt. „Mich kann man nicht austricksen!“, brüllte Delroy wütend. Als er den Leuchtstab in meiner Hand bemerkte, stockte er jedoch. „Das kann nicht sein!“, rief er fassungslos. Ich verlor keine Zeit und rannte in Richtung Oryn los. Doch auf der Hälfte des Weges schien Delroy seine Fassung wieder gefunden zu haben und schickte heftige Windböen zu mir, sodass ich zur Seite geschleudert wurde. Ich rappelte mich wieder auf und die nächste Windböe erwischte mich. Wieder stand ich gleich auf den Füßen und wappnete mich für die nächste Windböe. Doch es kam nichts. Ich guckte mich um und sah, wie Mats sich auf Delroy stützte. „Mats! Nein!“, schrie ich. Doch es war zu spät. Delroy richtete seine Windböen jetzt gegen ihn und Mats wurde durch die Luft geschleudert. Es tat mir weh, das zu sehen, doch ich konnte ihm nur helfen, wenn ich jetzt weiter rannte. Also lief ich weiter. Kurz bevor ich bei Oryn ankam, fokussierte sich Delroy wieder auf mich. Ich spürte schon, wie die nächste Windböe auf mich zuraste. In meiner Verzweiflung warf ich den Stab in die Richtung von Oryn. Ob er ankam oder nicht, konnte ich nicht sehen, denn ich wurde so stark durch die Luft geschleudert, dass mir Hören und Sehen verging. Mir wurde schlecht und ich wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war.
Doch mit einem Mal war alles vorbei. Ich landete wider Erwarten sanft auf dem Boden. Mein Magen rebellierte. „Linn? Alles gut?“, hörte ich Mats besorgte Stimme. Ich zeigte einen Daumen nach oben. Auf einmal war Kaius da und hüpfte auf mir rum. „Wir haben es geschafft, Linn! Wir sind Helden! Quatsch, du bist eine Heldin!“, jubelte er. Ich rappelte mich auf. Delroy war verschwunden und auch der Käfig um Oryn war verschwunden. Oryn stand dort mit dem magischen Leuchtstab in der Hand und lächelte mich an. „Ist es vorbei?“, krächzte ich. Oryn lächelte noch breiter. „Dank dir, Linn, und natürlich auch dank Kaius und Mats ist Imalia von den finsteren Mächten befreit und es kann wieder so wie früher werden.“, sagte Oryn und seine Stimme war so majestätisch und tragend, dass sie die ganze Höhle füllte. Ich war stolz und glücklich. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Doch was war geschehen, nachdem ich den Leuchtstab geworfen hatte? Kaius neben mir streckte wieder die Brust heraus und sah genauso stolz aus, wie ich mich fühlte. Als er meinen fragenden Blick bemerkte, erklärte er: „Mich hatte Delroy nicht mehr drauf und deswegen habe ich mich als Stein getarnt und mir den Stab geschnappt, ihn zu Oryn gebracht, der dann den Rest erledigt hat.“ Oryn ergriff wieder das Wort: „Ich bin dir zu unendlichem Dank verpflichtet, Linn! Wenn es irgendetwas gibt, was ich für dich tun kann, würde ich dir gerne weiterhelfen.“ Ich sah Mats an und er nickte: „Mats und ich würden gerne wieder nach Hause.“ Als ich Kaius traurigen Blick bemerkte, schob ich hinterher: „Es ist hier superschön und wir würden auch gerne wiederkommen, aber wir vermissen unser Zuhause schon.“ „Das kann ich verstehen“, meine Oryn, “Ich werde dir deinen Wunsch erfüllen. Du und Mats seid herzlich eingeladen, jederzeit wiederzukommen.“ Ich nickte dankbar. Natürlich würden wir wiederkommen. Ich umarmte Kaius und versprach ihm, dass wir uns bald wiedersehen würden. „Quatsch die Leute bei dir an die Wand!“, sagte Kaius noch frech zur mir. Ich nickte. Ich hatte mir fest vorgenommen, ein bisschen mutiger zu werden. Ich hatte einen Dämon besiegt, da konnte ich anderen ja wohl auch meine Meinung sagen.
Ich umarmte Kaius, den ich so lieb gewonnen hatte und der mir so viel geholfen hatte, fest. Dann nickte ich Oryn zu und nahm Mats an die Hand. Oryn erklärte, dass wir uns nebeneinander hinstellen sollten, den Rest würde er erledigen. Dann murmelte er etwas, das wie ein Zauberspruch klang, und es knallte. Diesmal war mir nicht ganz so schwindelig und es ging viel schneller vorbei als auf der Hinreise. Im nächsten Moment standen Mats und ich wieder in unserer Küche, so als wären wir nie weggewesen. Ich umarmte Mats, glücklich wieder hier zu sein. Automatisch sah ich zum Fenster. Das Leuchten war immer noch da. Erleichterung durchflutete mich. Ich ging näher an das Leuchten heran und – täuschte ich mich oder war da Kaius, der mir von dem Rücken des Dinodrachen zuwinkte? Ich winkte zurück.
Das Leuchten würde hoffentlich immer dort sein und mich daran erinnern, was ich für eine tolle Reise in Imalia gemacht hatte. Ich habe nicht nur Oryn befreit, sondern in Kaius einen neuen Freund gefunden. Vor allem aber hatte ich mein Selbstbewusstsein und den Mut wieder gefunden, meine Meinung zu sagen und das fühlte sich richtig gut an.
Charlotte, G 7